Qualitativ oder quantitativ recherchieren und testen? Was bringt mehr Kundenorientierung?

​… oder reicht einfach ein gutes Bauchgefühl?


( 8 Minuten lesen )

Hitzige Diskussionen in sozialen Medien sind heute alltäglich. Diese gibt es auch im Themenbereich UX/CX Design. Auf Twitter zum Beispiel unter #designtwitter oder auf Facebook in den entsprechenden Gruppen​. Manchmal werden ganz grundsätzliche Themen angesprochen. Diese bieten eine gute Gelegenheit, das eigene Handeln und Denken zu reflektieren.
So ist mir kürzlich auf Facebook der nachfolgende Post aufgefallen, wo implizit behauptet wird:


Qualitative Recherche bringt mehr als quantitative Recherche:
Bei quantitativer Recherche erfährt man 10 Dinge bei der Befragung von 100 Personen.
Bei qualitativer Recherche erfährt man 100 Dinge bei der Befragung von 10 Personen.

Screenshot: Facebook

Ist es nun besser nur 10 Personen zu befragen um 100 Dinge zu erfahren?

Estrella und Sjef finden schon 🤔

Chris findet die Fragestellung irreführend und meint beide sind wichtig. 👍

Salvatore meint die beiden Methoden ergänzen sich – in unterschiedlichen Phasen des Ideation-, Design-, Entwicklungs- und Rollout-Prozesses 👏

Was bringt Recherche und Testen?

  • Wissen, welche Bedürfnisse und Probleme (potentielle) Kunden haben -> Gelegenheit für Innovation?!
  • Herausfinden, was ein wirklich gutes Kundenerlebnis ausmacht.
  • Wissen, ob es eine genügend grosse Kundengruppe gibt, die an der Lösung interessiert ist.
  • Validieren, ob unsere Lösung den Erwartungen der Kunden entspricht.

Kurz: Wir wollen wissen, womit wir Kunden einen Mehrwert bringen, damit sie sich für unser Produkt / unseren Service entscheiden – und wie viel sie dafür bezahlen würden.

Und natürlich:

  • Business-Hypothesen validieren bevor viel Geld in die Entwicklung einer Lösung investiert wird

Es gibt viele Gründe warum wir Kunden befragen und passend zum Grund auch unterschiedliche Methoden der Befragung.

Was ist die Motivation zur Recherche? 

SICHERHEIT!

  • Sicherheit, einen gefragten Mehrwert zu liefern, um nicht unnötig Ressourcen zu verschwenden.
  • Sicherheit Qualität zu liefern – so liefern wir ein besseres Kundenerlebnis als es die Konkurrenz tut.

Solange diese Sicherheit nicht validiert ist, basiert unser Handeln auf Hypothesen und Bauchgefühl.

Bauchgefühl ist gut – mit Beweisen noch besser!

Also, Recherchieren macht Sinn – bleibt die Frage: qualitativ oder quantitativ?

Was ist denn überhaupt der Unterschied?

Loeka bringt es auf den Punkt 😊

Qualitativ = Möglichkeiten aufdecken
Qualitative Umfragen liefern uns die Antworten auf folgende Fragen:

  • Was motiviert Kunden?
  • In welchem Kontext stehen die Bedürfnisse von Kunden
  • Was könnte ihnen sonst noch helfen? 

Quantitativ = Bestätigung bzw. Wahrscheinlichkeit abschätzen
Quantitative Umfragen beantworten Fragen, wie die folgenden:

  • Welcher Anteil der Kunden hat dieses Problem?
  • Wie viele Kunden finden unsere Lösung interessant?
  • Wie viel sind Kunden bereit für die Lösung zu bezahlen?
  • Mit welchen Hypothesen können die grössten Potentiale realisiert werden?

Marion findet beide extrem nützlich und, wenn kombiniert angewendet, sogar mächtig leistungsstark:

Angela stellt fest:

Qualitativ: Was passiert > Quantitativ: Die Relevanz von dem was passiert

und:

Der Grund für die Recherche – die zu beantwortende Frage – muss klar sein und die Recherche muss mit der richtigen Methode durchgeführt und designed sein.

Brent bringt Jobs to be Done ins Spiel – durch dieses Vorgehen erhöht sich die Sicherheit, sowohl das Richtige zu entwickeln, als auch die Indikatoren dafür zu identifizieren, wie das beste Kundenerlebnis aussehen soll.

Einige Methoden:


Qualitativ  
Quantitativ  
Generativ
Beobachtungen im Nutzungskontext  (Contextual Inquiry) 

Interviews

Nutzer Tagebücher

Gemba Walks
Umfragen

Interviews

ConJoint Analysis 
   
  Evaluativ         
Usability Testing 

Card Sorting Moderiert 

Wizard of Oz 
Card Sorting automatisiert

Umfragen 

Datenanalysen

A/B Testing / Varianten Testing

ConJoint Analysis 

Ein hypothetisches Beispiel zwecks Veranschaulichung:

Visualisierung: d>

Recherche? Das kostet doch viel zu viel!

Brion meint «Business Leaders» Vertrauen nur in quantitative Recherche und dies müsse sich ändern.

Klar, Sicherheit hat ihren Preis!

Man braucht keine Recherche,

  • wenn die Entwicklungskosten und Risiken viel geringer sind, als der Aufwand für eine Kundenbefragung
  • wenn das Nutzererlebnis in diesem speziellen Falle keine Rolle spielt (ja, das darf man!)
  • wenn man 100% sicher ist

Wer führt die Recherche aus?

Nicht Aussenstehende!

Stell dir vor du möchtest in den Ferien im Atlasgebirge wandern gehen. Eine Bekanntschaft von dir hat genau das gemacht und du möchtest von deren Erfahrungen profitieren. Nun hättest du die Wahl, diesen Reisebericht von der Bekanntschaft selbst vermittelt zu bekommen oder von jemand anderem, der dir von den Erlebnissen der Bekanntschaft erzählt. Mit wem würdest du sprechen?

Klar, oder? Mit der Person, die da war und es selbst erlebt hat.

Warum? 

  • Weil du die Emotionen besser spürst und du so 
    • ein klareres Bild erhältst, was wirklich mühsam und was wirklich schön war bzw. was wirklich wichtig ist und was nicht
    • dich besser an Details erinnern kannst 
  • Weil du nachfragen kannst, 
    • bei Dingen, die dir wichtig sind
    • bei Dingen, die du dir vorher noch gar nicht überlegt hast, dir aber jetzt wo du mehr weisst, erst auffallen
  • Weil du die Bestätigung oder Entkräftung deiner Vorstellungen und Hypothesen selbst erfährst und so eine Verwässerung oder ein Missverstehen durch eine Drittperson ausschliessen kannst.

Bei Recherche ist das nicht anders.

Wenn du im Team und/oder als Entscheidungsträger die Recherche selber durchführst hat dies folgende Vorteile:

  • Diskussionsloses «Buy-In» bei Design-Änderungen und bei der Validierung von Hypothesen. Die Akzeptanz von Rechercheergebnissen ist wichtiger als die Recherche selbst. Was nützt die Recherche, wenn niemand an die Resultate daraus glaubt und die Erkenntnisse nicht berücksichtigt werden. Es ist oft schwierig, seine Meinung zu ändern, seine «Babys» loszulassen oder einzugestehen, dass man einfach mit seinem Bauchgefühl falsch lag.
  • Mehr Empathie für Kunden und ihre Erlebnisse. Wir leben oft in einer Blase, umgeben von Gleichgesinnten und Menschen, die gleich ticken wie wir. Mit direktem Kundenkontakt verstehen wir besser, dass es Kunden gibt, die anders sind als wir. Es wird uns auch vor Augen geführt, dass da echte Menschen betroffen sind. Menschen, die nicht nur durch Daten und Statistiken repräsentiert werden. Es entsteht eine tiefere Verbindung zum Kunden, die sich in der Arbeit und im Entscheidungsprozess widerspiegelt.
  • Bessere Entscheidungen treffen, basierend auf tieferem Kundenwissen und validierten Erkenntnisse und Fakten.
  • Direkte Einflussnahme auf die Recherche. Korrekturen oder Änderungen in der Fragestellung können direkt eingeleitet werden.
  • Entscheidungen wo Business und Kundenerlebnis berücksichtigt werden müssen, sind einfacher abzuwägen
  • Ist das ganze Team involviert, hilft das dem Teamgeist. Durch das bessere Kundenverständnis entstehen gemeinsame Ziele und Interessen, welche die Beziehungen der Teammitglieder untereinander fördern.
  • Das Erleben, wie unsere Arbeit am Produkt das Leben von Kunden einfacher macht, gibt uns mehr Sinnhaftigkeit und Motivation für unser tägliche Arbeit.

If a user is having a problem, it’s our problem.

Steve Jobs

Du brauchst Unterstützung?

Wenn Recherche und Testing für dich neu sind, können dir Human Centered Design Expert:innen helfen:

  • Motive, Probleme verstehen: Beobachtungen, Interviews
  • Discovery: Entwickeln von Lösungsansätzen und Ziel-Experiences
  • Entwickeln von Ideen, Begleitung bei der nutzerzentrierten Implementierung, definieren von Complience-Kriterien
  • Schnell und einfach Kundenfeedback einholen: User Testing und definieren von UX-relevanten KPI
  • Deine Organisation so aufstellen, dass deine Kund:innen und Nutzer:innen im Zentrum stehen

Und du?

Was ist DEINE Erfahrung mit Recherche?

Qualitativ? Quantitativ? – Was hast du dabei über deine Kund:innen gelernt?

Lasst uns voneinander lernen!

Erstveröffentlichung im Swisscom Intranet, Februar 2020.
Leicht adaptiert.

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