Was zeichnet einen guten Service aus?

Was ist ein guter Service? Ist es, wenn uns eine innovative, technische Lösung begeistert? Ist es, wenn uns das Design aus den Socken haut? Ist es, wenn wir ehrfürchtig “Wow” sagen, weil wir gerade einen magischen Moment erleben?
Oder ist ein Service einfach dann gut, wenn er nicht mehr und nicht weniger tut, als unsere Erwartungen zu erfüllen? Das Buch “Good Services” ergründet, was einen guten Service ausmacht. (Die aufmerksame Leserin wird bemerken, dass Buchtitel und Inhalt einander entsprechen – so wie das bei einem guten Service eben sein sollte.) Ob Good Services hält was es verspricht, werde ich euch gleich verraten.

Wenn ich damals bei der UX-Konferenz im 2016 einen Vortrag geschwänzt hätte, dann wäre es wohl derjenige von Louise Downe gewesen.​


Service Design bei gov.uk, der Webseite des Vereinten Königreiches! – Ugh! Was Langweiligeres konnte ich mir kaum vorstellen.

Wie falsch ich lag.

Die schiere Menge von Services und Webseiten auf gov.uk – von der Beantragung einer Lizenz zum Fischen, bis zum Eröffnen eines Fisch-Ladens. Die Herausforderung allen Bedürfnissen einer Bevölkerung gerecht zu werden, muss enorm sein. Kein Wunder ist die Anzahl Designer bei Gov.uk von 115 im Jahr 2015 auf 950 im Jahr 2018 gestiegen. 50 % davon sind Service Designer. Kein Wunder weiss Louise Downe, Leiterin Design, wovon sie spricht. Klar sass ich plötzlich am vordersten Rand meines Stuhles und lauschte gebannt, wie sie ihre Design-Arbeit designt.

Zwei Jahre später habe ich mich natürlich gefreut, als ich Louise Downe von gov.uk schon wieder auf der Agenda meiner Lieblingskonferenz entdeckte. Hier kannst du dir das Video ihrer Präsentation anschauen. Sehr empfehlenswert!

Nochmals zwei Jahre später bin ich von ihrem Buch “Good Services” begeistert.

Warum? Das Buch ist mit anschaulichen Beispielen gespickt und Lou Downe scheut sich nicht, die Dinge beim Namen zu nennen. Das macht die Lektüre unterhaltsam.

Aber da ist noch etwas anderes. Du kennst sicher das Gefühl, wenn jemand etwas, das du schon lange weisst, mit den richtigen Worten treffend ausdrückt und du dir denkst: “Eigentlich logisch.” – Ja? Genau das!

  • Google ist die Startseite jedes Service. Ist die Bezeichnung des Dienstes für Kunden nicht verständlich, werden Nutzer den Dienst auch nicht finden. Der Name des Dienstes sollte reflektieren, was Kunden damit erreichen wollen und aus Wörtern bestehen, welche die Kunden auch verstehen.
    Eigentlich logisch, oder?
  • Kunden werden den Dienst falsch nutzen, wenn sie nicht genau verstehen, wie sie ihn nutzen sollen oder sie werden annehmen, er funktioniert gleich, wie bei der Konkurrenz. Ein guter Service erklärt Kunden für wen er gemacht ist, wozu er dient und wie er funktioniert.
    Eigentlich logisch, oder?
  • Wenn nicht klar ist, was vom Service erwartet werden kann, werden Kunden Dinge erwarten, die der Service nicht liefert und enttäuscht sein.
    Eigentlich logisch, oder?
    Ein guter Service findet die richtige Balance zwischen der Erfüllung von universellen Erwartungen, vermuteten Erwartungen und speziellen Erwartungen.
    • Universelle Erwartungen müssen nicht erklärt werden. Sie sind offensichtlich – eine Bibliothek verleiht Bücher. Sie müssen aber jederzeit die Erwartungen der Kunden erfüllen, denn sie bilden die Grundlagen eines Dienstes.
    • Vermutete Erwartungen sind etwas komplizierter. Sie sind für den Service-Erbringer offensichtlich, für Kunden jedoch nicht unbedingt klar. Es gibt zwei Möglichkeiten Kunden abzuholen: Entweder du gestaltest den Service so, dass er den Erwartungen der Nutzer entspricht, indem du ihn adaptierst und vereinfachst oder du erklärst im Voraus, was Kunden zu erwarten haben. Die zweite Option ist zwar billiger, birgt aber Risiken: Wann hast du zum letzten Mal eine Bedienungsanleitung ganz durchgelesen, bevor du einen Dienst genutzt hast?
    • Spezielle Erwartungen kommen dann zum Zuge, wenn diese für eine grosse Anzahl Kunden zu universellen Erwartungen werden. Zum Beispiel, als Amazon mit Online-Bestellungen und Lieferservice den Buchhandel gesprengt hat. Du sollst also aufmerksam und bereit sein, um schnell reagieren zu können und mitzuhalten.
  • Ein guter Service befähigt seine Nutzer dazu, jenes Endziel zu erreichen, das sie von Beginn weg erreichen wollten. Das bedeutet, dass ein Service Kunden dort abholt, wo sie stehen und ihnen Bedingungen bietet, die es ihnen ermöglichen, ihr Ziel zu erreichen. Dies unabhängig davon, ob ein Service nur ein Ausschnitt der User-Journey abdeckt und an einen anderen Service übergibt oder ob er den Kunden “End to End” beisteht. Wir sollen Services so designen, dass wir den ersten Schritt der Kunden kennen und ihn dahin führen, dass er sein Endziel erreichen kann. Dabei sollen wir die internen Prozesse, dem nach aussen sichtbaren Service gegenüberstellen und alle Kanäle (digital, Post, Telefon, physisch) berücksichtigen.
    Eigentlich logisch, oder?
  • Ein guter Service funktioniert auf eine den Nutzern vertraute Weise. Oder, wenn er anders als die andern funktioniert, besticht er durch eine intuitive Handhabung. (→ neuartig/disruptiv) Sind Nutzer überfordert, suchen sie nach Alternativen. Schafft man mit seinem Service innovative neue Standards, müssen diese mit anderen Anbietern geteilt werden, damit sich diese am Markt durchsetzen können.
    Eigentlich logisch, oder?
  • Kein Dienst wird nur von Menschen genutzt, die den Dienst bereits benutzt haben. Unser Verständnis eines neuen Dienstes basiert auf unseren vergangenen Erfahrungen. Diese differieren oft von der Funktionsweise unseres Dienstes. Das Design eines Services, der das nicht berücksichtigt, wird für Nutzer schwer zu navigieren sein. Eigentlich logisch, oder?
  • Nicht jede Firma ist ein Start-up und hat ihre organisatorischen Strukturen auf ein optimales Service-Erlebnis ausgerichtet. Historisch gewachsene Firmen bestehen aus Silos, die ihren Teil des Dienstes möglichst effizient abdecken. Separierung und mehrfache Erhebung von Daten, (terminliche) Inkompatibilität von Prozessen und inkonsistentes Vokabular sind oft die Konsequenz und können grosse Hürden in der Navigation eines Nutzers durch den Service darstellen. In einer vernetzten Welt, in der sich Nutzer einfache End-to-End-Services gewohnt sind, werden sie nach Möglichkeit zu einem Anbieter wechseln, der sie auf einfache Weise an ihr Ziel bringt.
    Eigentlich logisch, oder?
    Die Lösung, um gute Services zu erbringen, liegt nicht in einem dauerhaften Zustand von Reorganisation, sondern darin eine effiziente Kollaboration zu ermöglichen. Diese wird erreicht durch:
    • Transversales Engagement der Mitarbeitenden • Gemeinsame Standards
    • Gemeinsame Ziele
    • Geteilte Anreize
  • Ein guter Service lässt sich in möglichst wenigen Schritten durchschreiten.
    Eigentlich logisch, oder?
    Interessant ist dabei, dass es auch die Lücken zwischen den Schritten zu gestalten gilt. Je nach Service spielt das Tempo der Schritte ebenfalls eine Rolle. Wenn schwierige Entscheidungen getroffen werden müssen – wie z.B. im Gesundheitsbereich – ist eine bewusste Verlangsamung der Schritte eines Services sinnvoll. Diese werden von der Autorin als «involvierte Dienste» bezeichnet. Transaktionale Dienste andererseits, wie das Buchen einer Reise oder Einkaufen, sollten so wenig Schritte wie möglich enthalten und so schnell wie möglich abgehandelt werden können. Vielleicht fällt uns auch der Perspektivenwechsel leichter, wenn wir statt zwischen Kunden- und internen Prozess-Schritten zwischen Kunden-Entscheidungen und internen Prozess-Schritten unterscheiden.
  • Ein Service ist nur so stark, wie sein schwächstes Glied. Dienste sollen konsistent sein, aber nicht einheitlich. Das bedeutet, dass die gleiche Terminologie und Sprache in allen Kanälen verwendet wird. Das bedeutet auch, dass nicht einzelne Schritte auf dem Weg zum Ziel des Kunden als magische Momente gestaltet werden, während andere Schritte nur mit Mühe navigiert werden können. Egal in welchem Kanal. Lou Downe spricht vom «Minimal Viable Service», einem Service mit dem Zweck die meisten Nutzer dahin zu führen, dass sie ihr Ziel erreichen können. Einheitlichkeit hingegen ist nicht anzustreben, da es sinnvoll ist, auf die individuellen Bedürfnisse von Nutzern einzugehen.
    Eigentlich logisch, oder?
  • Ein guter Service sollte keine Sackgassen haben. Stell dir vor, du vergisst dein Handy in einem Uber und hast für die Uber App Zwei-Faktor-Authentifizierung aktiviert. Uber hat diesen Fall nicht vorgesehen und du hast keine Möglichkeit den Fahrer zu kontaktieren. Alle Dienste können versagen. Diese Sackgassen sind jedoch anders. Sie passieren, wenn ein Nutzer keinen Zugriff auf etwas Benötigtes hat, er etwas nicht tun kann oder er etwas nicht ist und deshalb nicht mehr weiterkommt. Sackgassen entstehen, wenn ein Nutzer den “Happy-Path” verlässt. Wir designen den “Happy-Path” für die ideale Navigation unseres Dienstes durch die ideale Persona. Oft designen wir mit einem Bild von einem Nutzer, den es nur selten gibt. Dies gilt es zu berücksichtigen, wenn wir Nutzer nicht von unserem Dienst ausschliessen wollen.
    Eigentlich auch logisch, oder?
  • Ein guter Service sollte von allen genutzt werden können. Allzu oft werden Services in einer Monokultur entwickelt – meistens von jungen, weissen, heterosexuellen Männern. Fehlende Diversität im Team und ausbleibendes Testen mit einer mannigfaltigen Nutzergruppe führt dazu, dass gewisse Nutzer vom Dienst ausgeschlossen werden. Der Entwickler der Google-Objekterkennung hat dies schmerzlich erfahren, als dunkelhäutige Menschen nach Release der Software allesamt als Gorillas gekennzeichnet wurden. Sie hatten den Dienst nur mit Weissen getestet. Um Inklusion im Service sicherzustellen, soll nicht nur auf Limitationen wie Seh- und Hörbehinderungen, Dyslexie, Erinnerungsvermögen oder der Fähigkeit sich physisch an einen Ort zu begeben, Rücksicht genommen werden. Zu berücksichtigen gilt auch, wer die Nutzer sind (ethnische Herkunft, Konfession, Alter, Geschlecht, Geschlechtsidentität) und was ihnen zur Verfügung steht (Zeit, Geld, Reise-/Transportmöglichkeit, Familie und Freunde – aber auch Selbstsicherheit oder Bildung). Inklusion ist eine Notwendigkeit und nicht nur eine Erweiterung. Durch Testen von extremen Grenzfällen kann sichergestellt werden, dass der Service durch alle nutzbar ist.
    Eigentlich logisch, oder?
  • Ein guter Dienst fördert das richtige Verhalten von Benutzern und Angestellten. Anreize zur Förderung eines gewünschten Verhaltens können schief laufen oder missbraucht werden. Schief laufen können sie zum Beispiel, wenn Ziele vom Management gesetzt werden, die zu erzielende Wirkung den Mitarbeitenden jedoch nicht vermittelt wird. (Zum Beispiel wenn Call-Center-Agenten die Auflage erhalten, die Kundengespräche zur Vermeidung längerer Wartezeiten innert einer gegebenen Zeit abzuwickeln und sich die Kunden deshalb erneut melden müssen.) Missbräuchliche Beeinflussung von Kundenverhalten in Form von Dark Patterns richten längerfristig mehr Schaden an, als sie kurzfristig einbringen. Andererseits können gut gesetzte KPIs und ein bewusster Einsatz verhaltensbeeinflussender Massnahmen viel dazu beitragen, den Service für Kunden, Mitarbeiter, Business, Gesellschaft und Umwelt besser zu machen.
    Eigentlich logisch, oder?
  • ​Ein guter Service sollte schnell auf Veränderungen reagieren können. Dinge können schnell schief laufen, wenn sich Namen, Adresse, Telefonnummer, Zivilstand, finanzielle Situation, terminliche Änderungen, usw. von Nutzern ändern. Genauso wichtig wie das Berücksichtigen dieser Änderungen beim Design von Diensten ist auch die Methode, wie diese Änderungen bei Nutzern festgestellt werden.
    Eigentlich logisch, oder?
  • Ein guter Service erklärt, warum Entscheidungen getroffen werden. Scheinbar kleine Entscheidungen unseres Dienstes können grossen Einfluss auf das Leben eines Nutzers haben. Nicht immer sind diese Entscheidungen gerechtfertigt oder verhältnismässig. Entscheidungen sollten stichhaltig, transparent und nachvollziehbar sein. Sie sollen zeitnah kommuniziert werden und Nutzer sollen die Möglichkeit haben, die Entscheidung anzufechten und sich dieser Option auch bewusst sein.
    Eigentlich logisch, oder?
    Speziell im Hinblick auf zunehmend komplexe Algorithmen und KI ist Klarheit, wie eine Entscheidung getroffen wird genauso wichtig, wie die Entscheidung selbst.
  • Wie im vorherigen Abschnitt beschrieben, sollen Nutzer die Option haben, Entscheidungen anzufechten. Dazu müssen sie die Möglichkeit haben, einfach auf die Unterstützung eines Menschen zugreifen zu können. Ein guter Service differenziert sich nicht dadurch, ob er scheitert oder nicht, sondern wie mit Fehlern umgegangen wird oder nicht. Bei gut designten Diensten werden wenige Nutzer wegen komplizierten Fällen in Kontakt treten. Bei schlecht designten Diensten werden viele Nutzer wegen allgemeinen Fragen anrufen. Unser modernen IT-Lösungen ermöglichen es, Arbeitskräfte einzusparen, die hauptsächlich einfache Fragen zu unseren Diensten beantworten. Die zunehmende Komplexität unserer Systeme und deren Vernetzung erfordert jedoch vermehrt Mitarbeiter, die sich um knifflige Fragen kümmern und ermächtigt sind, Entscheidungen im Interesse des individuellen Nutzers zu treffen. Eigentlich logisch, oder?​

Eigentlich logisch, oder? > Genau deshalb wird das Buch in Fachkreisen gelobt. Es bietet eine Ausformulierung des Offensichtlichen und ist eine nachvollziehbare Auslegeordnung darüber, was einen guten Service ausmacht. Eine solche Definition hat in der Service-Design-Welt bisher gefehlt.

Es geht nicht darum Kunden für einen Service zu begeistern und Design-Preise zu gewinnen. Es geht einfach darum, dass Kunden schnell, einfach und angenehm erledigen können, was sie erledigen wollen, um sich danach wieder denjenigen Dingen zuzuwenden, die ihnen wirklich wichtig sind und die ihnen wirklich Spass machen.

Frei nach David Platt: “Kunden wollen nicht euren Dienst nutzen. Vielmehr wollen sie so schnell wie möglich ein Glas Wein mit ihren Liebsten trinken.”

Das Buch bietet natürlich noch viel mehr als meine mageren Extrakte in diesem Beitrag. Ich kann es nur empfehlen:
Good Services – Lou Downe – ISBN: 978-90-6369-543-9 (derzeit nur in Englisch verfügbar)

Gleich in einer lokalen Buchhandlung bestellen kannst du zum Beispiel hier.

Happy Service-Designing!

Erstmals veröffentlicht im Swisscom Intranet im Mai 2020

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